Das in London ansässige Start-up Unternehmen Modern Synthesis hat eine Methode entwickelt, um Textilien aus einer Mikrobe herzustellen. Das daraus resultierende Material könnte an Markenhersteller als Ersatz für synthetische Stoffe verkauft werden.
In den Bioreaktoren seines neuen Labors in London verwendet Modern Synthesis Zucker aus Pflanzenabfällen zusammen mit Mikroben, um “mikrobielle Textilien” zu züchten, die letztendlich sowohl Leder als auch synthetische Stoffe aus fossilen Brennstoffen ersetzen könnten.
Neue Bioökonomie
“Wir versuchen, eine neue Bioökonomie aufzubauen, die sich auf effizientere Systeme stützt, die Abfälle ‒ in unserem Fall Zuckerabfälle aus der landwirtschaftlichen Produktion oder anderen Quellen ‒ in hochwertige Materialien umwandeln. Diese können dann in den Kreislauf zurückgeführt werden”, so Mitbegründerin Jen Keane. Später können die Materialien recycelt oder, je nach Herstellungsart, kompostiert werden.
Keane arbeitete zuvor im Bereich Materialdesign bei Adidas, wo sie dem Schuhgiganten half, Turnschuhe aus im Meer gefundenen Plastikabfällen herzustellen. Dabei wurde ihr klar, wie abhängig die Industrie von synthetischen Materialien ist. “Auch wenn wir diese Kunststoffe recycelten ‒ ein wichtiger erster Schritt ‒, ist das nicht die endgültige Lösung”, sagt sie.
Nanozellulose für die Bekleidungsindustrie
Sie nahm daher an einem Masterstudiengang für Biodesign teil und begann, sich mit Forschern der synthetischen Biologie am Imperial College London zu treffen, die ein in Kombucha vorkommendes Bakterium namens K. rhaeticus untersuchten, welches ein Material namens Nanozellulose produziert.
“Zellulose ist der Grundbaustein der Natur ‒ sie ist in Baumwolle, Holz, Leinen und vielen anderen Materialien enthalten, die wir heute kennen”, sagt sie. “Aber diese Bakterien produzieren sie in einem so kleinen Maßstab, dass die Fasern sehr stark sind und sich ganz natürlich miteinander verbinden.” Die Fasern sind stärker als Kevlar, und die Zugfestigkeit (d. h. wie viel Spannung etwas aushalten kann, bevor es auseinandergerissen wird) ist höher als die von Stahl. Nanozellulose wird bereits in einigen Produkten wie Gesichtsmasken und Wundheilungsverbänden verwendet, aber Keane interessierte sich für die Möglichkeiten, die sich daraus für die Bekleidungsindustrie ergeben.
Gemeinsam mit dem Mitbegründer Ben Reeve, einem Wissenschaftler des Imperial College, entwickelte Keane ein neues System zur Herstellung von Textilien mit der Mikrobe. Das Verfahren beginnt mit dem Einsatz eines Roboters, der andere Naturfasern zu einem Gerüst aufbaut, auf dem die Mikroben wachsen können. Während sich die Mikroben von Zucker ernähren, “weben” sie das neue Textil um die Form des Gerüsts herum und bilden so ein Hybrid. Dieses enthält sowohl das ursprüngliche Gerüstmaterial als auch die von den Mikroben hergestellte Nanozellulose. (Die Mikroben selbst landen nicht im Endprodukt.) “Man kann Textilstrukturen verwenden, die sonst strukturell nicht stabil wären”, sagt Keane. Es können diese fast netzartigen Strukturen geschaffen werden, die ansonsten ziemlich wackelig wären oder von selbst auseinanderfallen würden. Sie werden durch das Biomaterial nun sogar noch gestärkt.
Es ist auch möglich, ein Endprodukt zu züchten ‒ der erste Prototyp, den Keane als Studentin entwickelt hat, war ein Schuh, der von den Mikroben geformt wurde. Sie sagt jedoch, dass das Unternehmen zunächst ein Material herstellen will, das Bekleidungsmarken zuschneiden und nähen können, damit es sich leichter vergrößern lässt.
Die ersten Muster des in der Pilotanlage des Unternehmens hergestellten Materials sehen anders aus als alle bisherigen Materialien. “Es ist von Natur aus transparent und sieht fast wie ein Nylon oder ein sehr technisches synthetisches Gewebe aus”, sagt Keane. “Aber die Haptik ist viel natürlicher. Und es ist anpassungsfähig, was das Handgefühl angeht. Es kann auch flexibler oder dicker sein, haltbarer gestaltet werden. Das würde allerdings bedeuten, dass das Material nicht so leicht biologisch abbaubar ist.
Ökologischen Fußabdruck verringern bzw. vermeiden
Wenn es synthetische Stoffe ersetzt, kann es dazu beitragen, den ökologischen Fußabdruck der Verwendung von Petrochemikalien zu vermeiden. Einer Schätzung zufolge werden für die Herstellung synthetischer Textilien jährlich etwa 350 Millionen Barrel Rohöl verbraucht. Wenn es so verändert wird, dass es wie Leder aussieht und sich auch so anfühlt, könnte es dazu beitragen, die ökologischen und ethischen Probleme bei der Viehzucht zu vermeiden. (Bucha Bio, ein anderes Start-up-Unternehmen, verwendet ähnliche Techniken, um Alternativen zu Leder herzustellen.)
Derzeit konzentriert sich Modern Synthesis auf die Herstellung von Mustern, die zeigen, wie das Material verwendet werden könnte. Es werden ganze Platten des Materials für Marken hergestellt, die für Prototypen verwendet werden sollen, obwohl noch weitere Forschungs- und Entwicklungsarbeiten erforderlich sind, um die strengen Materialstandards zu erfüllen. In den nächsten Jahren soll die Produktion in großem Maßstab aufgenommen werden.
Das Unternehmen setzt eine Mischung aus Standardgeräten ein, um das Wachstum zu erleichtern. “Unsere oberste Priorität ist, wie wir das Vorhandene nachrüsten können, um die Kapazitäten zu schaffen, die auf dem Markt für diese Materialien vorhanden sind”, sagt Keane. Die größte Frage für das Start-up und andere Unternehmen in diesem Bereich lautet: “Wie schnell kann man skalieren?”, sagt sie, “denn die Nachfrage ist da.”
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.
Quelle: fastcompany.com
Foto: (c) Modern Synthesis
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